Haldern Pop Festival 2018

Konzert: Haldern Pop Festival 2018

Ort: Haldern

Datum: 09.-11.08.2018

Dauer: 3 Tage

Zuschauer: ca. 6.500 ausverkauft

 

Festivalbericht

Haldern Pop: "So much to see, so much to do.."...Was eigentlich immer mit Entschleunigung verbunden wurde, ist seit einigen Jahren fast nicht mehr greifbar. 5-7 Locations, über das ganze Dorf verteilt. Beginn (der fantastischen "Lesung" von Ex-Genesis Tourmanager Richard Macphail) um 10:00 Uhr morgens, Ende in der Nacht mit Ariel Pink um 2:00 nachts), da sollte man sich seine Kräfte schon einteilen.

Und obwohl das Festival in der musikalischen Breite und der Fülle der angebotenen Inhalte stetig wächst, bleibt es doch ein großes Klassentreffen, aus dem sich jeder seine Lieblingsfreunde herauspicken kann.

Interessant war dieses Jahr, das der Freitag, wohl zum ersten Mal in der Geschichte des Haldern Pop, dem HipHop gewidmet wurde. Festivalchef Stefan Reichmann betonte ja in den letzten Jahren schon in Interviews, wie wichtig (und schwierig) ein roter Faden im täglichen Programm sein kann.

Und so fanden sich mit Astronautalis, Sampha the Great aus Australien, der stargaze HipHop challange und den alten Bekannten von The Lytics fast alle Spielarten des Sprechgesangs versammelt. 

Dazu am Nachmittag noch der soulige Sound von Curtis Harding und die Weltmusik von Seun Kuti mit seiner Riesenband. Da wirkten die austauschbaren Sounds von The Slow Readers Club (Editors-Klon) und De Staat (holl. Phänomen mit banalen Songs) doch sehr altbacken. 

Auch Villagers konnten an diesem Abend mit eigentlich typischem Haldernsound nicht wirklich überzeugen. Trotz prominentem Slot zur besten Sendezeit blieb der Auftritt blass und wenig in Erinnerung.

Deerhoof dagegen zeigten alte Stärke, obwohl seit der Gründung 1994 nun schon viel Zeit in Land gegangen ist, bleibt die Spielfreude ansteckend und unverändert. 

Zum eigentlichen Abschluß auf der Hauptbühne am Freitag dann ein weiterer deutscher Headliner. Dieses Jahr mal nicht aus der Popfraktion sondern der im In- und Ausland sehr geschätzte Nils Frahm

Auch wenn das geschulte Publikum in Haldern damit in der Nacht keineswegs überfordert zu sein schien, hat Frahm aber evtl. schon zu viele Auftritte bei ähnlichen Festivals hinter sich. Der Reitplatz leerte sich trotz zunächst gutem Wetter und tollem Sound merklich. 

Die gute Nachricht auf dem Weg zum Schlafzelt: Es legt noch ein DJ im Spiegelzelt auf. Oft gewünscht und vor Jahren schon mal dagewesen, geisterte der Name DJ St. Paul immer wieder durch die Foren und Wunschlisten der Besucher. 

Mittlerweile ist St. Paul in den Niederlanden eine feste Größe, bespielt und kuratiert gar beim BKS  drei Tage eine eigene Bühne mit wechselnden Gästen und Sets. Auch in Haldern bleibt in den nächsten drei Stunden kein Fuß auf dem Boden. 

Ausgelassene und entspannte Stimmung im bebenden Zelt lassen vermuten, das sich der Durchschnittsbesucher auch sehr gerne zu später Stunde einfach mal einige Indie-Hits vom Band servieren lässt. Nerdige Spotifylisten kann man ja morgen wieder abarbeiten. Auf jeden Fall ein sehr schöner Ausklang des Freitags. 

Samstag dann, wie schon erwähnt, eine tolle Geschichtsstunde im Jugendheim über Genesis, als Start in den Tag. Danach schnell den kultigen Pflaumenstrudel vom Bäcker holen (natürlich 2 Stücke), ein kurzer Einkauf in der Popbar und schnell zurück zum Gelände mit einem Fußpils(z) (das neue Gehbier), um Fortuna Ehrenfeld nicht zu verpassen.

Und was für ein Auftritt wurde dort geboten. Wer die Band schon als Support von Kettcar gesehen hatte, konnte es erahnen, die anderen blieben bis zu den Zugabenrufen !! mit offenem Mund vor der Bühne. Fantastische Lyrics, irres Outfit, Bläsersatz am Ende... da stimmte einfach alles. Und als der "Puff von Barcelona" verklungen war, stand einer der ganz großen Gewinner des Festivals zurecht fest. 

Die Band spielte am Abend dann noch einen spontanen Auftritt im kleinsten Zelt des Geländes und signierte reichlich. Einfach toll.

Danach hatten es Protomartyr und Jenny Lewis etwas schwer, die Hitze kam zurück auf den Platz und die Gigs von White Wine und besonders des smarten Marlon Williams zeitgleich im Spiegelzelt hatten etwas mehr Charme und musikalischen Drive. 

Trotzdem war der Samstag ein sehr starker Tag, der immer zu spontanen Wechseln einlud, bei denen dann aber Teile anderer Konzerte entfallen mussten. 

Phoebe Bridges war der erwartete Knaller, Amyl and The Snifflers Punk war schnell erzählt (aber deshalb nicht schlechter), The Lemon Twigs habe ich dagegen schon besser erlebt. Die dürren Engländer aus dem Second-Hand Laden sind aber sicher noch nicht abzuschreiben. 

Der Höhepunkt für viele (King Gizzard..) ist leider gar nicht mein Ding, eine tolle Live-Band sind sie natürlich trotzdem. Ja, und dann gab es doch noch eine echte Indie-Band auf dem Haldern: Rolling Blackouts Coastal Fever öffneten mein Herz, dazu veröffentlichen sie auch noch auf SubPop, da kann wirklich nichts schiefgehen. Eine tolle Band, die sogar moderne Hits schreibt. Unbedingt reinhören.

Über Kettcar habe ich bereits einen eigenen Eintrag verfasst, und somit war es an den Sleaford Mods, das Festival auszukehren. 

Wer, wie ich gedacht hatte, der Witz wäre nur einmal witzig, wurde eines besseren belehrt. Der Platz blieb bis zum Ende sehr gut gefüllt, und obwohl die beiden als Headliner keinen Gassenhauer vorweisen können und sich die Anzahl der Menschen, die sich diese Musik zu Hause zur Entspannung anhöhen, sehr begrenzt sein wird, war es ein Erlebnis, die Band in diesem Rahmen zu erleben. 

Die von Noel G. verspottete "Mental Illnes.." ist natürlich nicht ganz von der Hand zu weisen, aber die Mischung aus ehrlichem Lyrics a la Kate Tempest und dem krachigen Beat von "The Streets" sind nachts besser verträglich als mittags auf einer riesigen Festivalbühne. "The hardest working man in Showbiz" (Andrew Fearn) führte natürlich wieder während des kompletten Sets seine Bierflasche spazieren, startete aber immer pünktlich den nächsten Track. Musiker sein ist schon eine tolle Sache. 

Alles in allem bot das Festival wieder einmal ein Wochenende ohne Reue. Die musikalischen Strömungen der Gegenwart wurden mit dem extrem variationsreichen Programm perfekt gespiegelt, auch wenn das nicht allen Ur-Haldernern schmecken mag. 

Stillstand ist keine Option.

Danke, und bis zum nächsten Jahr. 


Fotos: Denis Schinner, https://desc-photography.com/2018/07/29/hpf17/

Dieser Artikel erschien zuerst im Konzerttagebuch (Mein Zuhause. Mein Blog). Das Konzerttagebuch umfasst ca. 4000 Live Konzert- und Festivalberichte.