U2, Amsterdam, 2015
Konzert: U2
Ort: Amsterdam - Ziggo Dome
Datum: 09.09.2015
Dauer: 130 Min.
Zuschauer: 4 x 16.000
Konzertbericht
U2 Bashing (öffentliche Beschimpfung) ödet mich an. An jeder Ecke eines Konzertsaals oder einem Musikgespräch unter Freunden muss man es sich anhören. Kein neues Phänomen. Das Lebenswerk eines Künstlers/Band wird durch Parodien und Überhöhungen so karikiert, das nur noch Hohn und Spott übrigbleiben.Fakten oder persönliche Erfahrungen sind unerwünscht, aber das kennt man ja auch aus anderen Debatten.
Oft scheint es mir auch ein gewisser Neid zu sein, nie so eine Band fürs Leben gefunden zu haben. Ein Livekonzert von U2 hat keiner von ihnen bisher gesehen und da liegt das Problem. Es ist einfach sich über U2 lustig zu machen. Die meisten Fans interessiert aber nicht der Teil der Band der in den Medien vermittelt wird. Charity Veranstaltungen, schauspielende Töchter und Bonos Brillen sind nicht U2. Zu U2 Konzerten gehen die Menschen seit vielen Jahren weil sie die Magie einer Band auf der Bühne erleben wollen. Und vielleicht ist es die letzte große Band die diese Magie transportieren kann.
Es geht darum wie vier so unterschiedliche Individuen auf der Bühne zu etwas verschmelzen das soviel größer ist als ihre Talente und Meinungen. Vier Musiker die alle völlig verschieden sind und doch seit über 30 Jahren ohne Streit als Band existieren. Wenn Larry am Schlagzeug gelangweilt auf seine Uhr schaut, während Bono gerade versucht ein politisches Thema auf die Bühne zu transportieren, ist das einfach nur der Beweis einer ewigen Freundschaft und nicht ein Zeichen von Verachtung. Der Mut der Band immer wieder alles zu riskieren, die höchste Fallhöhe in Kauf zu nehmen, gegen eigene Überzeugungen vom englischen Mofa auf die Harley, danach in den Trabi und später noch in die Stretchlimo zu steigen ist einzigartig.
Für viele mag es Ansporn für ihr eigenes Leben gewesen sein, nie satt zu sein, immer wieder bei null zu beginnen um etwas noch größeres oder zumindest anderes zu erschaffen. Die letzten CDs halten diesem Anspruch nicht mehr stand, das ist klar. Daher ist das Konzerterlebnis bei U2 immer noch das prägendste bei dieser Beziehung. Die immer sichtbare, unbändige Lust zu spielen und der Vorsprung durch Technik als Bühne waren immer beeindruckend. Und so trifft man vor der Halle zwar immer wieder andere Fans, aber eigentlich sind sie immer gleich.
Die Kroaten, die Italiener, die Spanier, alle sind sie wieder da: Freunde fürs Leben wie die Band selber. Infiziert, spätestens seit der ZOO-TV Tour die damals alles veränderte. U2 ist die letzte, große Band die ich Verehre. Fast immer habe ich vorab keine Lust auf das Konzert. Zu schwach finde ich die aktuellen Platten, zu beschwerlich gestaltet sich oft der Vorverkauf für gute und bezahlbare Karten. Aber wieder sind vier Jahre vergangen und seit Ewigkeiten wird auch in Europa wieder eine Hallentour geboten. Das neue Album hat intimere Songs, handelt von der Jugend und wieder ist der Aufbruch das Thema, diesmal der zum Erwachsen werden.
Die Band spielt daher 2-4 Gigs pro Stadt. Der zunächst angedachte Ansatz, je 1-2 Abende komplett akustisch und den Rest als Rockkonzert zu präsentieren wurde verworfen. Als Alternative gibt es zum ersten Mal keine Vorgruppe (die hatten es bei U2 sowie immer schwer), stattdessen wird der Set in zwei Teile geteilt, allerdings ohne echte Pause mit Saallicht. Die 360 Tour muss vor 5 Jahren der Schock für alle Veranstalter gewesen sein. Eine Bühne, halb so groß wie ein Fußballfeld mit riesiger Stahlkonstruktion, das konnte und wollte bis heute keiner kopieren. Nur für die Halle ein neues, für Fans nicht enttäuschendes Konzept zu kreieren war mit Sicherheit ein große Herausforderung.
Gelöst wurde sie mit den Anfangsbuchstaben des Mottos der Tour: I (für innoncence) und E (für experience). Diese beiden Buchstaben bilden zwei Bühnen, die jeweils an den Enden des Innenraums der Halle platziert werden. Als Verbindung dient ein Steg der das Publikum teilt. PA und eine riesige, absenkbare Leinwand hängen über diesem Steg in der gesamten Länge der Halle. Somit bester Sound und Sicht für jeden, und wieder fragt man sich warum nicht schon vorher jemand darauf gekommen ist. Leinwand wäre allerdings eine Beleidigung für dieses Konstrukt, die Band spielt in, auf und neben dem Screen alles ist ständig in Bewegung.
Aber seien wir auch einmal objektiv. Bono sieht nicht gut aus. Abgesehen von modischen Ausrutschern wie blondierte Haare und Jackett auf der Bühne scheint der schwere Fahrradunfall noch nicht vollständig verheilt. Langsamer als sonst bewegt er sich, schwerfällig wirken die Bewegungen, das Gitarrenspiel ist sowie auf Dauer nicht mehr möglich. Der Rest dagegen zeigt sich agil wie immer, besonders Adam wirkt mit seinen wilden, grauen Haaren und seinem Buzzcocks T-Shirt extrem cool gealtert. Für echte Fans beginnt das Konzert fast zu gut. Nach dem neuen "The Miracle" folgen mit "Gloria" !!, "Vertigo" und "I will follow" drei Kracher im wahrsten Sinne des Wortes. Gitarre und Bass kommen in einem für Arena-Konzerte unglaublich dreckigen, punkigen Krach durch die Boxen. Edge klingt mutig, nicht wie sonst auf absolute Perfektion bedacht und hat Spass an seiner neuen Rolle. Hier ist klar, es geht um eine Zeitreise zurück zu den Wurzeln. Dies wird mit den neuen Songs dann in der Folge weitergeführt. Hier gilt wie immer bei U2, die schwächeren Songs werden mit den besten Showeinlagen versehen, das hält die Stimmung hoch. Und so läuft Bono hier sogar passend zu den Visuals IN der Leinwand durch seine Jugend in Irland. Ein starkes Bild.
Am Ende des ersten Teils dann noch das immer zündende "End of the world" im Strobonebel. Danach folgt eine kurzes Intermezzo mit Fly-Remix damit die Bühne aufbereitet werden kann und mit "Invisible" startet der zweite Teil. Der Song wirkt hier stimmiger und zwingender als der Studiotrack, jetzt spielt die komplette Band IN der Leinwand. Dann geht es ab auf die kleine B-Bühne und U2 machen das was sie am meisten auszeichnet, nämlich unberechenbar zu sein. Erst wird zum Akustikteil ein Fan auf die Bühne geholt, dann spielt ein weiterer Gitarre. Es wird gelacht, getanzt und der Fan (nicht der beste Gitarrenspieler) bekommt spontan als Geschenk die Gitarre zum Üben geschenkt. Alles wirkt ausgelassen und so gar nicht einstudiert, obwohl die Songauswahl hier mit "Desire" und "Angel of Harlem" heute leider Standard ist.
Danach misslingen "Every breaking wave" und ein kurzes "Oktober" leider völlig, da kann auch The Edge am Piano nichts retten. "Bullet the blue sky", ein Song den sich wohl die meisten Fans seit Jahren aus dem Programm wünschen, folgt und ist leider wie immer brandaktuell. Hier wird er seit langer Zeit zum Höhepunkt im Set da hier Show / Botschaft und Version des Songs die perfekte Kombination ergeben. Wenn Bono mit Megaphon zynisch die Europahymne lallt, während Edge die Gitarre wie Neil Young bearbeitet und auf der Leinwand ein Stakkato von Krisenbildern läuft ist der Klimax erreicht.Danach kommt das Best-Of für die teuren Plätze. One wird heute ausgelassen, "Blinding Lights" hat meiner Meinung nach im Zugaben Block nichts verloren und "Beautiful Day" bleibt heute ohne Snippets auch schwächer als sonst.
Am Ende verschwindet die Band wie Bono gekommen war, durch den Hinterausgang, während noch "Still haven`t found" gespielt wird und die Zuschauer den Song zu Ende singen und das Saallicht angeht. Wie immer bei U2 ist die Tour am Anfang an einigen Stellen noch holprig. Diese Schwachstellen sollten aber bis zu Deutschland-Konzerten behoben sein. Die Show ist sehenswert, auch wenn U2 nach der letzten Tour kaum noch eine Steigerung möglich war. Daher ist der Schritt zurück in die Hallen zunächst die einzige, sinnvolle Option. Ich freue mich schon auf die Konzerte in Köln, hoffentlich mit vielen anderen Songs und Fans aus ganz Europa, denen U2 live so viel bedeutet wie mir.
Dieser Artikel erschien zuerst im Konzerttagebuch (Mein Zuhause. Mein Blog). Das Konzerttagebuch umfasst ca. 4000 Live Konzert- und Festivalberichte.
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